Die Öffentlichkeit von Geschichte sichtbar machen

Schweizer Netzwerk Public History – netzwerkpublichistory.ch – goes online!

Von Franziska Metzger, März 2024

Sehr geehrte Rektorin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Alumni, liebe Studierende, liebe Gäste,

Ich begrüsse Sie herzlich zum Tag des Netzwerkes anlässlich der Lancierung unseres virtuellen Schweizer Netzwerks Public History. Erinnerungskulturen und Geschichtsvermittlung in Schule und Öffentlichkeit, einem Projekt, das vom Institut für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen (IGE) der Pädagogischen Hochschule Luzern und dem spezialisierten Masterstudiengang Geschichts­didaktik und öffentliche Geschichtsvermittlung (einem Joint-Degree Master mit der Universität Fribourg) initiiert und umgesetzt wird und an welchem sich viele der heute Anwesenden individuell als Geschichtsvermittlerinnen und -vermittler oder mit ihren Institutionen der Forschung, Entwicklung, Lehre und öffentlichen Geschichtsvermittlung in den letzten Wochen bereits mit personellen und institu­tionellen Angaben sowie Hinweisen auf ihre Tätigkeitsfelder und Projekte beteiligt haben. Umso mehr freut es mich, Sie zahlreich heute hier an diesem realen Netzwerkanlass begrüssen zu dürfen.

Emanuel Ammon / AURA © Bourbaki Panorama Luzern

Bezugnehmend auf den vor einigen Wochen publik gewordenen Rückgang der Studierendenzahlen in den Geisteswissenschaften und besonders auch in den Geschichtswissenschaften – im Fach Geschichte in den vergangenen zehn Jahren um rund 20% – wurden in den Medien, besonders in der Tagespresse von Journalisten, Historikern und anderen Geistes- und Sozialwissenschaftlern verschiedene Argumentations- und Deutungslinien verfolgt, welche teils durchaus konträre Positionen, Diagnosen und – selten – Bewältigungsstrategien zum Ausdruck bringen. Es manifestieren sich dabei verschiedene Diskurse der Krise: -1- Diskurse der Krise eines «traditionellen» Fachbereichs an Hochschulen, -2- einer Krise derer, die als die Vertreterinnen und Vertreter des Fachs angesehen werden, ihrer Tätigkeiten und ihres Selbstver­ständnisses, -3- darüber hinaus Diskurse einer Krise des Verhältnisses verschie­dener Wissenschaftsdisziplinen und Wissensbereiche zu einander, -4- bis hin zu einem fundamentalen Bündel von damit verbundenen Krisen in der Gesellschaft, an welche die genannten, die Geistes- und spezifisch Geschichtswissenschaft betreffenden Krisendiskurse mehr oder weniger rückgebunden und in Beziehung gesetzt werden. 

Interessant ist zum um einen, dass dabei die Kritik gegenüber Histo­rikerinnen und Historikern mit teils konträren Vorwürfen geschieht – zwischen zu wenig und zu viel Präsenz in der Öffentlichkeit. Und interessant ist zum anderen, dass im genannten vierten Feld daran Krisendiskurse gekoppelt werden, die besagen, dass das Bewusstsein für die Bedeutung von Geschichte in den vergangenen Jahrzehnten gesamtgesellschaftlich abgenommen habe (was nicht selten wiederum mit Digitalisierung und sozialen Netzwerken in Verbindung gebracht wird). Diese Diagnose ist nicht neu und ich teile sie aus meiner Perspektive der Memory Studies, der erinnerungskulturellen Forschung, nicht. 

Die Kritik an den Historikern ist ein verengter, den klassischen «Wissen­schaftlichkeitsdiskurs» der Historiographie des 19. Jahrhunderts reproduzierender Blick auf das Feld dessen, was Geschichtsforschung – und ich würde hier schon den Begriff der Geschichtsvermittlung vorziehen – ist und sein kann: Akteure im Feld der Geschichte sind weder nur Dozierende und Forschende an historischen Seminaren noch einzig solche, die sich (regelmässig) in den Tagesmedien äussern. Forschen und Vermitteln, die «Öffentlichkeit von Geschichte», ist mehr, sie ist komplexer und gerade deswegen ganz bestimmt nicht im Niedergang begriffen. Dies zeigt sich mit Blick auf die zweite genannte, die Gesellschaft betreffende Diagnose und lässt sich dieser argumentativ entgegenstellen: Das gesellschaftliche Interesse an Geschichte in der Öffentlichkeit ist in den letzten Jahren – ich würde einmal etwas grob von den letzten zwei Jahrzehnten sprechen – konstant gross, breit und divers, was sich am Erfolg historischer Ausstellungen, gerade auch in lokalen und regionalen Kontexten, (virtueller) Stadtrundgänge, historischer Spielfilme (darunter auch jährlich mehreren Blockbastern) und Doku-Fiction-Produktionen ebenso zeigt wie an der Beschäftigung mit Erfahrungs­geschichten vergangener und gegenwärtiger Menschen, mit literarischen Formen gerade auch des Biographischen und am Interesse an partizipativen Formaten der Inszenierung und Vermittlung. In diesen Feldern sind viele der heute Anwesenden tätig.

Daran möchte ich einige Gedanken zur gesellschaftlichen Bedeutung von Geschichte in der Öffentlichkeit, zu kritischem Denken und zur Verschränkung von Bildung und Ausbildung als Mehrwert der Vermittlung von Geschichte in Schule und Öffentlichkeit – und als Standortvorteil entsprechender Studiengänge – anschliessen. Public History verstanden als -1- Vermittlung von Geschichte für die Öffentlichkeit, -2- in der Öffentlichkeit und damit auch durch Partizipation von Teilöffentlichkeiten, sowie -3- als analytisch-selbstreflexiver Blick auf Fragen der Erinnerungskonstruktion und des öffentlichen Gebrauchs von Geschichte sowie auf Geschichtsdenken, Geschichtsbewusstsein und Formen der Vermittlung, ist gesellschaftlich bedeutend. 

Die drei genannten Dimensionen der Public History ermöglichen nicht nur eine die Komplexität vergangener (und gegenwärtiger) Gesellschaften reflektie­rende Verbindung von Theorie und Praxis in Lehre (so in einem Studiengang wie unserem Public History Master), Forschung (so am Institut für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen) und Vermittlung. Dieses Ensemble, welches im Übrigen gerade auch die Transdisziplinarität von Public History ausmacht, fördert kritisches Denken als Teil historischer und – darüberhinaus­gehend – kultureller Bildung, es fördert die Reflexion eigener Perspektiven, Positionen und Deutungen durch den Umgang mit Erfahrungen, Erinnerungen und Erwartungen von (anderen) Menschen in der Vergangenheit bis hin zur Gegenwart. Mehr noch: Public History verfolgt dieses kritische Denken ganz bewusst als Teil ihres Selbstverständnisses. Dass historisches Denken die Entwicklung strukturierter und transferierbarer eigenständiger Zugänge auf Gegenwart und Vergangenheit fördert, haben Geschichtsdidaktikerinnen und -didaktiker mit Fokus auf das Feld der Schule wiederholt benannt und empirisch gestützt.Dabei sind kritisches Denken und Reflexion umso bedeutender, je komplexer, je unsicherer die Gegenwart ist. Auch sind sie – davon bin ich überzeugt – in Zeiten von Krieg, von Identitätspolitik verschiedenster Ausrichtung, Feindbildkonstruktionen, Ver­schwörungsdiskursen und Hass, von Fake News und Moral Panic unmittelbarer und einfacher als äusserst bedeutsam für die gegenwärtige und zukünftige Gesellschaft vermittelbar. Eine analytische, einordnende, vergleichende und transferierende Perspektive gerade auf Vorurteile, Ängste, Krisen und den Umgang von Menschen (in der Vergangenheit) mit ihnen, verlangt nach Orten und Räumen, nach Communities, nach Austausch und Partizipation.

Historisches Denken, reflektierte Zugänge auf vergangene und gegenwärtige Gesellschaften sind ein zentrales Feld der öffentlichen Geschichtsvermittlung. Sie verschränken theoretisch-methodische, didaktische und konkrete themenbe­zogene und das Praxisfeld mit Blick auf Inszenierung, Formen und Medien der Vermittlung kreativ gestaltende Dimensionen. Reflexivität ist in der öffentlichen Geschichtsvermittlung besonders vielschichtig und komplex, da sie verschiedene Akteure miteinschliesst: Forschende und Lehrende, Geschichtsvermittlerinnen in Institutionen der öffentlichen Vermittlung, Studierende und Öffentlichkeit, die alle in einem Verhältnis zu einander stehen. Es ist gerade dieses Verhältnis, das Geschichte in die Öffentlichkeit trägt und das Geschichte sichtbar macht. Dabei bedeutet Reflexion in sich bereits Partizipation – noch unabhängig von konkreten, stärker handlungsbezogenen Angeboten etwa in einem Museum. Gerade in der öffentlichen Vermittlung ist Bildung nicht (nur) Ausbildung. Und gerade die öffentliche Geschichtsvermittlung kann mit ihrem Erfolg zeigen, wie nicht nur im engeren Sinn pragmatische Studiengänge gesellschaftliche Bedeutung haben und dass Studiengänge, die kritisches Nachdenken in einer breiteren Gesellschaft fördern, ihrerseits der zunehmende Dichotomisierung von Bildung und Ausbildung entgegenwirken können. 

Dies ist ein besonderer, vielschichtiger Mehrwert, zu dem an der Pädagogischen Hochschule Luzern die Schwerpunkte der Geschichtsdidaktik, Erinnerungskulturen und Public History am IGE und der Fachbereich Geschichte in den Studiengängen Sekundarstufe I, Sekundarstufe II und in Bezug auf das weitere Feld der öffentlichen Geschichtsvermittlung besonders im Masterstu­diengang Geschichtsdidaktik und öffentliche Geschichtsvermittlung beitragen. Der Masterstudiengang ist in seiner Ausrichtung als spezialisierter Masterstu­diengang in der Schweiz einzigartig und – ähnlich wie die Studiengänge S1 und S2 – besitzt er mit seinem mehrfachen Praxisbezug – im Feld der öffentlichen Geschichtsvermittlung, aber auch in Projekten der beteiligten Hochschulen – einen Vorteil im Konkurrenzverhältnis zu anderen Studiengängen der Geschichte. Das Arbeiten an eigenen Projekten ist in diesem Masterstudiengang, der auch von den verschiedenen Berufserfahrungen der Studierenden geprägt ist, zentral; sie werden befähigt, Projekte in der konkreten Geschichtsvermittlung strukturiert zu gestalten und eigenständig umzusetzen.

Der Masterstudiengang ist zugleich stark in einem internationalen, besonders europäischen Umfeld eingebunden: Dieses hat sich in den letzten Jahren sehr dynamisch gezeigt und trägt seinerseits zur Sichtbarkeit der Public History in der Schweiz bei: in Bezug auf Forschung, in Bezug auf Studiengänge – die besonders in Deutschland sich parallel zu unserem Studiengang an verschiedenen Universitäten entwickelt haben – , sowie in Bezug auf Plattformen, Social Media Präsenz und deren Erforschung. 

Zur Sichtbarkeit der Public History in der Schweiz und darüber hinaus wollen wir auch mit unserer Plattform Schweizer Netzwerk Public History beitragen. Das partizipative Format verfolgt das Ziel, Studierende und Alumni, Praxisinstitutionen und Forschende miteinander zu verbinden, Projekte, Studien­gänge, Forschende und im Feld der Praxis tätige Geschichtsvermittlerinnen und -vermittler zu vernetzen, Geschichtsdidaktik, Public History und Memory Studies in ihrer transdisziplinären Ausrichtung zu stärken und dazu beizutragen, neue Ver­mittlungsformate zu entwickeln und die Sichtbarkeit junger Public Historians in der Scientific Community sowie gegenüber Institutionen der Geschichtsver­mittlung zu erhöhen. Damit will die Plattform gerade auch wesentlich zur Nachwuchsförderung beitragen. Das Zusammenbinden von Geschichtsvermitt­lung in Schule und Öffentlichkeit in unserem Netzwerk macht nicht nur geschichtsdidaktisch und fachlich sowie mit Blick auf den Standort PH Luzern Sinn, sondern es wird auch von zahlreichen unserer Alumni und Studierenden in ihren beruflichen Tätigkeiten praktiziert. Sie tragen damit zur kreativen Formung historischer Bildung bei.

Public History ist – und damit schliesse ich – ein idealer Weg, die Bedeutsamkeit der Geschichte, und darüber hinaus der Geisteswissenschaften, in der Öffentlichkeit vermittelbar, sichtbar zu machen, indem sie sie nahbar macht, indem sie sie materialisiert. Diese Materialisierung – die auch virtuell sein kann – will gerade unser Netzwerk Public History schaffen.

Für die kompetente, unermüdliche Planung, Konzipierung und Kommunikation im Rahmen des Projekts danke ich Dr. Christine Szkiet, Studiengangmanagerin, und Anna-Lena Nägler, studentische Assistentin im Masterstudiengang Geschichtsdidaktik und öffentliche Geschichtsvermittlung herzlich. Ben Peyer und seinem Team von VERSION.1 gestaltet.programmiert danke ich für die Gestaltung und Umsetzung unseres Projekts. Marco von Ah und seinem Team von Kommunikation und Marketing an der Pädagogischen Hochschule Luzern danke ich für die initiative und kundige Begleitung des Projekts während der gesamten Planungs- und Umsetzungsphase. Peter Gautschi, dem Leiter des Instituts für Geschichtsdidaktik und öffentliche Geschichtsvermittlung, und Dorothee Brovelli, Prorektorin Forschung und Entwicklung, danken wir für die wohlwollende Unterstützung des Projekts. Unser Netzwerkprojekt wäre ohne die Beteiligung unserer teils langjährigen Projektpartner nicht möglich gewesen: nämlich unseren Partnerhochschulen im Masterstudiengang, unseren Praxispartnern im Studiengang, von Museen über Archive zu Verlagen und Filmproduzenten, unseren Kooperationspartnern in ausländischen Universitäten, unseren Alumni, die in der öffentlichen Geschichtsvermittlung und als Forschende aktiv sind, unseren Studierenden sowie zahlreichen mit uns verbundenen individuellen Geschichtsvermittlerinnen und -vermittlern. Unsere Plattform wurde wesentlich ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung durch swissuniversities im Rahmen der Projektgebundenen Mittel zur Unterstützung der Fachdidaktiken und hier insbesondere zur Etablierung von Netzwerken und Entwicklung von Laufbahnen.

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